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Das Danger Dan Konzert findet im Rahmen der Transformartini statt, das Streaming wird von der Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa gefördert.
Auf seinem neuen Soloalbum schwingt sich Danger Dan zum Randy Newman des Rap auf, obwohl es gar kein Rap-Album ist. Elf ergreifende Klavierballaden, die Comedian-Harmonists-Chöre mit Hannes Wader, Antifaschismus mit Liebesliedern und kluge Zeitgeist-Diagnostik mit gen Himmel schwebenden Streichern vereinen.
Vermutlich spielte Lou Reed gerade »Heroin«, als Danger Dan über den Zaun sprang. Jene lakonisch hingeworfene Eloge auf die Droge, in der vieles vereint ist, was Reed und seine frühere Band The Velvet Underground ausgemacht hatte, versuppte nun im Sommer 2012 aber ein bisschen im Wind über dem riesigen Place des Quinconces im Herzen von Bordeaux. Ebenso wie Reed selbst an diesem Abend wirkte auch der Song: abgebrochen, verloren, alt.
Das korrespondierte wiederum bestens mit der Stimmung von Danger Dan. Kurz nachdem er mit einem Pulk von Leuten über den besagten Zaun geklettert war, um sich eins der letzten Konzerte, die der nur anderthalb Jahre später verstorbene Lou Reed überhaupt jemals spielen sollte, umsonst ansehen zu können, hatte er seine Begleitung auch schon wieder verloren und irrte nun einigermaßen betrunken und ziellos über das Gelände. Den von ihm eigentlich geschätzten Lou Reed fand er an dem Abend übrigens grauenhaft. Ein gebrochener Mann, der für Danger Dan eher ein Ende als einen Anfang symbolisierte. Aber auch das passte ja ganz ausgezeichnet zur Stimmungslage.
»Wir sind da tatsächlich mit 50 Leuten über den Zaun, durch den daraus ausgelösten Tumult habe ich aber all meine Freunde verloren«, sagt Danger Dan. »Danach kam ich mir ein bisschen verloren vor. Ich wollte Velvet Underground sehen, aber davon war nicht mehr viel übriggeblieben. Ich wusste nicht mehr so richtig: ›Wer bin ich, wo bin ich, wie komme ich jetzt wieder in dieses verfluchte Gästebett?‹« In dieser Nacht wurde Danger Dan noch ein bisschen klarer als zuvor: Du musst irgendwo ganz anders hin und ein paar Sachen grundsätzlich anders machen.
Es gibt einen Song über den Abend von Bordeaux, der exemplarisch für die Weise steht, wie Danger Dan sich auf seinem neuen Soloalbum »Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt« seinen Themen nähert. Er heißt »Lauf davon«, eröffnet das Album, und ist gleichzeitig die erste Single. Es ist eine Klavierballade, wie es überhaupt auch ein Klavier-Album ist, man denkt ein bisschen an »Sail Away« von Randy Newman oder »Your Song« von Elton John. Jedenfalls erscheint dem Protagonisten in »Lauf davon« Lou Reed, er gibt ihm einen Tipp: »Lauf davon, so schnell du kannst, und fang irgendwo noch mal von vorne an.«
Auch sonst nutzt Danger Dan auf »Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt« immer wieder tatsächliche Erlebnisse als Basis für universell gültige Exkursionen, kluge Zeitgeist-Diagnostik und kitschfreie Liebeslieder. Mit großer Erzählkunst verzahnt er auf diese Weise seine Biografie mit dem Drama und der Lächerlichkeit der menschlichen Existenz. So führten etwa die tatsächlichen Ereignisse von Bordeaux indirekt zu einem wichtigen Umzug sowie zu einer der vielseitigsten und interessantesten Rap-und-einiges-mehr-Karrieren der vergangenen zehn Jahre, nämlich jener mit der Antilopen Gang, als deren Mitglied wir Danger Dan natürlich vor allem kennen.
Ein gutes halbes Jahr nach »Adrenochrom« gibt es also schon wieder Neues aus dem Antilopen-Lager. Und weil das Leben eines Menschen nicht nur aus einer Geschichte besteht, sondern stets die Summe aus vielen, oft sehr unterschiedlichen Seiten- und Hauptsträngen ist, wollen wir hier einmal eine etwas andere Geschichte von Danger Dan erzählen. Der Anlass ist natürlich diese poetische, ergreifende und pointierte Liedermacher-Musik mit einer Portion Pop, die Dan für »Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt« geschrieben hat.
Wie das meistens so ist mit guten Geschichten, müssen wir für einen Moment zurück auf Start: Mit sechs Jahren beginnt Danger Dan eher zufällig Klavier zu spielen. Auf dem Dachboden seiner Familie findet der Junge ein altes Akkordeon, auf dem er den Eltern ein »Konzert« gibt, nachdem er sich selbst ein paar Töne beigebracht hat. Die Eltern erkennen musikalisches Talent, ein Klavier wird gekauft, ein Lehrer einbestellt. »Ich war allerdings ein sehr schlechter Schüler«, sagt Danger Dan. »Ich habe nie meine Noten geübt und auch sonst nicht gemacht, was ich sollte. Aber ich habe trotzdem extrem viel Klavier gespielt. Meistens ›Let It Be‹ von den Beatles.«
Mit elf gibt er den Unterricht dran, bald darauf spielt Danger Dan in ersten Bands Keyboard und Klavier. Und natürlich kennen auch die Fans der Antilopen Gang den Pianisten Danger Dan: Auf den Konzerten der Gruppe sind Dans Piano-Einlagen gern genommene Auflockerungs-Routinen. Wer ihn kennt, muss also nicht gänzlich überrascht von der Richtung sein, die er nun auf »Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt« vollends einschlägt.
Frühere Klavierstücke Danger Dans waren aber noch von einer humoristischen Note geprägt, die man in Deutschland meist unter dem Begriff Kleinkunst subsummiert. Danger Dans Perspektive war ironisch – und damit über den Dingen stehend, nicht angreifbar. »Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt« hingegen kündet von der Liebe dieses Mannes für die Musik, die er hier macht und für sein Instrument: das Klavier. Danger Dan legt sein Herz auf den Tisch, das macht das Album so gut.
Ein kurzer Exkurs: Die deutsche Entsprechung des angloamerikanischen Singer-Songwriters und des französischen Chansonniers ist der sogenannte Liedermacher. Politisch konnotierte, folkbasierte Musik also, meist auf der Akustikgitarre oder am Klavier vorgetragen, im Vordergrund stehen die Texte. Insbesondere in den Sechziger- und Siebzigerjahren bildeten populäre Liedermacher wie Franz Josef Degenhardt, Reinhard Mey oder Hannes Wader ein eigenes Genre, das in völliger Abgrenzung zu Rock und Pop funktionierte. »Ich kenne diese ganzen alten Platten von meinen Eltern«, sagt Danger Dan. »Wader, Degenhardt, Konstantin Wecker, aber auch jemanden wie Bernie Conrads habe ich als Kind eher zwangsläufig gehört. Mein Vater hat mich auch später noch mit Sachen wie Georg Kreisler versorgt, weil er dachte, ich könnte das cool finden. Das war aber dann überhaupt nicht mein Sound. Seit ich mir meine Musik selbst ausgesucht habe, hatte ich damit eigentlich abgeschlossen. Trotzdem kenne ich diese Musik und ihre Sprache natürlich und weiß, wie das geht.«
Die Auseinandersetzung mit dem Sound seiner Kindheit verläuft für Danger Dan damals noch ironisch-distanziert: Zunächst wirtschaftet er einen zeitweise von ihm moderierten Liedermacherabend in seiner Heimat- stadt Aachen in Grund und Boden, später bewirbt er sich mit einem komplett erfundenen Liedermacherprogramm für Auftritte auf Weihnachtsmärkten. Vom Bochumer Weihnachtsmarkt kommt sogar eine Zusage, der solchermaßen zustande gekommene, programmlose Abend endet im Fiasko. »Ich brauchte dringend das Geld«, sagt Dan, »also fuhr ich nach Bochum und improvisierte eine Stunde lang richtig schlechte Texte und Lieder.«
Ereignisse, die schließlich indirekt zu der Nacht von Bordeaux führen. Danger Dan lebt damals noch in Aachen, spielt in einer gut gebuchten Reggae-Band und arbeitet am Theater. Er ist an einem Punkt in seinem Leben, an dem es im Großen und Ganzen zwar irgendwie läuft, aber gleichzeitig klar ist: Viel mehr kommt da jetzt auch nicht mehr. Eines Tages lässt er alles stehen und liegen, steigt aus seiner Band aus und fährt nach Bordeaux.
Jetzt fehlt natürlich noch der letzte Teil der Geschichte: Bald nach dem Lou-Reed-Abend – Dan hatte schließlich doch noch ins Bett gefunden – fährt er von Bordeaux nach Polen, spielt dort mit einer befreundeten Band einige Konzerte und lässt sich danach mit einer Flasche Wodka in Berlin absetzen. Hier beginnt dann die andere, viel populärere Geschichte von Danger Dan. Die mit der Antilopen Gang und dem Rap-Fa- me. Und doch lässt ihn seine erste Geschichte nicht los, sie schwirrt irgendwie weiter im Grundrauschen mit, bleibt präsent. Bis jetzt.
»Dieser Auftritt in Bochum war unter Buh-Rufen geendet«, sagt er, »aber die dahinterstehende Idee hat mich über Jahre nicht losgelassen. So ein Album wie jetzt ›Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt‹ zu machen, hatte ich also schon sehr lange vor, vielleicht schon immer. Ich wollte immer schon so einfache, schöne Lieder schreiben. Schnulzen gewissermaßen, keine Comedy. Insofern ist das jetzt auch keine Corona-Idee.« Wie es schließlich doch noch dazu kam: Bis zum ersten Lockdown war die Antilopen Gang auf Tour gewesen und aus einer spontanen Eingebung heraus nahm Danger Dan danach das Klavier mit. Eigentlich war das Instrument zwischen den Tourneen eingelagert worden, zuhause hatte Dan schon seit Jahren kein Klavier mehr. Jetzt aber begann er wieder zu spielen, und während draußen die Welt anhielt, wurde sein Spiel flüssiger und besser. »Ich hatte nie geübt und mich mit den Einlagen bei den Konzerten immer so durchgemogelt«, sagt er.
Der erste Song, der schließlich auf diese Weise entsteht, ist tatsächlich »Nudeln und Klopapier«, jenes Coronalied, mit dem Danger Dan in den vergleichsweise sorgenfreien Tagen des ersten Lockdowns die Konsum- Gewohnheiten seiner apokalyptisch veranlagten Mitmenschen verballhornt. Im Grunde eine kleine Spielerei, ein kreativer Schnellschuss mit einem improvisierten Wackel-Video – das sich bis zum heutigen Tag über fünfhundertneunundsechzigtausend Mal geklickt hat. Danger Dan hatte einen Nerv getroffen. Solchermaßen ermutigt, machte er weiter, er hatte jetzt richtig Spaß. Danger Dan saß alleine zuhause am Stage Piano, entwickelte Klavierbegleitungen und schrieb Texte, ging dann in den Proberaum der befreundeten Musikerin Charlotte Brandi, wo er die Songs weiter ausformulierte. Brandi ergänze einige Spuren auf dem Akkordeon, die Songschreiberin und Sängerin Mine komponierte und arrangierte die sehr kitschfreien, sehr geschmackvollen Streicher, zu denen die Chöre beinahe so klingen wie einst jene der Comedian Harmonists. »Mine hat ein intuitives Gespür für die Sprache von Leuten wie mir, die von Musiktheorie nicht so viel Ahnung haben.«
Was »Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt« nun von den eher problematischen, schrecklich unlustigen Ausprägungen der deutschen Kleinkunst und des Kabaretts unterscheidet, die zu vorgerückter Stunde pflichtschuldig auf diversen TV-Kanälen gesendet werden, sind vor allem zwei Dinge: Zunächst ist die musikalische Hingabe zu nennen, mit der Dan zu Werke geht. Sein Klavierspiel ist auf diesem Album niemals nur Vehikel, sondern stets zentrales Element, mit Verve und Leidenschaft gespielt.
Und dann natürlich die Sprache: Wie Danger Dan in »Ich verprügelte Sextouristen in Bangkok« über Penelope Cruz singt und der zunächst humorige Titelsong sich in der letzten Strophe zu einem dramatischen antifaschistischen Fanal aufschwingt, hat Hip-Hop ebenso viel zu verdanken wie dem klassischen Liedermachertum. In solchen Momenten ist Danger Dan ein Randy Newman des Rap. Dessen Sottisen und Sarkasmen hätten ja ebenfalls nie so eine nachhaltige Wirkung entwickeln können, lägen ihnen nicht Wahrhaftigkeit und echte Zuneigung zugrunde.
»Die Texte sind wahnsinnig schwierig«, sagt Danger Dan. »Als Rapper kannst du im Grunde alles sagen, da löst eine Zeile die andere ab und selbst die kitschigsten Lines wirken irgendwie ironisch. Wenn du aber alleine am Klavier sitzt, bekommen die Worte viel mehr Gewicht. Einige Sachen gehen dann einfach nicht mehr.«
Er hat genau den richtigen Ton getroffen: Mit den Mitteln der Liedermachermusik beschreibt Danger Dan die Welt, wie sie jetzt und heute ist. Und so erfüllt sich mit »Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt« ein musikalischer Traum, der Danger Dan sein Leben lang begleitet hat.